Charlie Chaplin und die Schweiz – Die unerzählte Geschichte der Filmlegende
Interview mit Susanne Sinclair – Charlie-Chaplin-Kennerin und Tourguide bei Chaplin’s World in Vevey
Charlie Chaplin verbrachte die letzten 25 Jahre seines Lebens in der Schweiz. Nach dem politisch motivierten Exil aus den USA fand er am Genfersee, was Hollywood ihm nicht bieten konnte: Frieden, Privatsphäre und ein glückliches Familienleben. Chaplin selbst bezeichnete später sein Privatleben in der Schweiz als die glücklichste Zeit seines Lebens.
Kennen Sie das Gefühl? Sie sehen einen Film oder lesen über eine faszinierende Persönlichkeit und denken: Diese Person hätte ich gerne einmal getroffen.
Leider ist das oft nicht möglich. Deshalb haben wir Susanne Sinclair, Tourguide bei Chaplin’s World in Vevey und Expertin für Charlie Chaplin, zum Gespräch getroffen. Sie bringt uns den weltberühmten Künstler und Menschen Charlie Chaplin näher – basierend auf ihrer umfangreichen Kenntnis seiner Biografie, seiner Zitate und seiner Schweizer Jahre.

Frau Sinclair, nachdem Chaplins Visum für die USA 1952 nicht erneuert und die Wiedereinreise damit verweigert wurde, hat er sich letztendlich für die Schweiz als neue Heimat für sich und seine Familie entschieden. Wie ist es dazu gekommen und was hat ihn gerade an der Schweiz derart fasziniert?
Ursprünglich wollte Charlie Chaplin nur seinen erfolgreichen Film «Rampenlicht» in Europa präsentieren und danach eine Auszeit nehmen, doch die Annullierung seines Visums (Chaplin war immer Engländer geblieben), zwangen ihn kurzfristig, ein neues Zuhause für sich und seine Familie zu suchen. Die neutrale Schweiz erschien ihm als sicherer Ort fernab politischer Anfeindungen – insbesondere nach den unbegründeten Vorwürfen während der McCarthy-Ära. In Corsier-sur-Vevey fand die Familie Chaplin schliesslich die ersehnte Ruhe, Privatsphäre und ein idyllisches neues Zuhause.
Sie erwähnten gerade den Umzug nach Corsier-sur-Vevey. Das Anwesen «Manoir de Ban» ist beeindruckend. Wie hat die Familie Chaplin ihr perfektes Zuhause gefunden und was hat sie an diesem Ort besonders angesprochen?
Während die Chaplins verschiedene Orte sondierten und einige Wochen im Hôtel Beau-Rivage in Lausanne verbrachten, entdeckten sie die Region rund um den Genfersee. Als sie vom zum Verkauf stehenden Manoir de Ban erfuhren, besichtigten sie es und verliebten sich sofort in das Anwesen mit seinem grosszügigen Park, altem Baumbestand und dem herrlichen Blick auf See und Berge. Es war der ideale Ort, um als Familie Wurzeln zu schlagen und den Kindern Raum zum Wachsen und Träumen zu geben.

Charlie Chaplin mit seiner Familie im «Manoir de Ban», seinem Haus am Genfersee

Die Chaplin-Familie vor dem «Manoir de Ban»
Was machte die Schweiz für Chaplin zur Heimat? Würden Sie sagen, dass die Schweiz wirklich zu seiner Heimat wurde?
Im Manoir de Ban schufen die Chaplins mit viel Hingabe ein Zuhause, das sowohl Offenheit als auch Geborgenheit bot – ein Ort voller Geschichte, den sie mit ihrem Leben füllten. Für Charlie wurde das Anwesen zu einem Rückzugsort. Er arbeitete an seiner Autobiografie, komponierte neue Musik und überarbeitete die bereits bestehenden Werke und schrieb neue Drehbücher. Die Schweiz war ihm zur Heimat geworden. Hier konnte er Vater sein, Ehemann, Nachbar – und einfach Charlie.
Wie war denn sein offizieller Empfang in der Schweiz?
Die Chaplins wurden in der Schweiz sehr freundlich empfangen. Die Behörden stellten ihnen schnell eine Aufenthaltsgenehmigung aus, und in Corsier-sur-Vevey fühlten sie sich willkommen. Am 6.10.1953 wurden sie mit allen Ehren vom Waadtländer Staatsrat empfangen. Trotz politischer Kontroversen in den USA wurde Charlie in der Schweiz als Künstler geschätzt. Die Menschen in Vevey respektierten die Privatsphäre der Familie – das war für die Chaplins sehr wichtig. Diese Zeit war für Charlie privat wohl die glücklichste.
Man sagt, dass die Chaplins nicht, wie viele Prominente, isoliert gelebt haben, sondern gerne am Leben in der Region teilnahmen?
Nach etwa einem Jahr fühlte sich die Familie voll integriert. Die Kinder gingen in die öffentliche Schule und lernten Französisch. Sie genossen ihre Freiheit: sie besuchten z.B. das Kino in Vevey, die Vorstellung des Zirkus Knie sowie den Wochenmarkt. Die Gemeinde lud sie zu Festen ein, und die Freunde der Chaplin-Kinder waren jederzeit im Manoir de Ban willkommen.
Hat Charlie Chaplin versucht, die französische Sprache zu lernen? Was war die Familiensprache?
Chaplin hatte viele Talente – doch Sprachen gehörten nicht wirklich dazu. Seine bevorzugte Ausdrucksform war stets die Körpersprache: Mimik, Bewegung, Pantomime. Worte lagen ihm nie besonders. Humor aber ist universell – er braucht keine Übersetzung. Chaplin sprach Englisch und keine Fremdsprachen. Die Sprache im Chaplin-Haushalt blieb trotz der Mehrsprachigkeit der Kinder Englisch.
Charlie Chaplin zu Hause in der Schweiz, 1973 © Roy Export S.A.S., CHAPLIN OFFICAL
Welche Schweizer Gewohnheiten haben die Chaplins übernommen?
Durch ihre Kinder, die in die Schweizerschule gingen, lernten die Chaplins die lokalen Gepflogenheiten ganz natürlich kennen. Mittwochnachmittags, wenn schulfrei war, organisierten sie wie andere Familien Freizeitaktivitäten – etwa Klavierunterricht. Sie nahmen am Leben teil: feierten den 1. August, besuchten regelmässig den Zirkus Knie in Vevey – ein Highlight für alle. Oona und Charlie entdeckten mit Freude die kulinarische Vielfalt der Region und ihre charmanten Restaurants.
Was hat Chaplin an der Schweizer Küche am besten gefallen?
Die Chaplins liebten die hiesige Gastronomie, auch wenn Oona gelegentlich amerikanische Hamburger machte – sehr zur Freude aller. Sonntags besuchten sie oft die Auberge de l’Onde in St. Saphorin – ein lieb gewonnenes Ritual. Charlie bestellte gern Hühnchen mit Estragon oder Froschschenkel, dazu ein Glas Pinot gris und zum Dessert Mille-Feuilles mit Himbeere und Kokos. Sie hatten viele Lieblingslokale in der Region – überall wurden sie herzlich empfangen und genossen das Essen sehr.
Seltenes Videomaterial von Charlie Chaplins Zeit in der Schweiz – RoyCharlie Chaplin™ © Bubbles Incorporated S.A.
Nachdem die Chaplins sich in der Schweiz niedergelassen hatten, kamen nochmal vier Kinder zu den vier bereits existierenden Kindern hinzu. Wie kann man sich die familiäre Stimmung im Hause Chaplin vorstellen?
Charlie war stolz auf seine Rolle als Vater, doch den Grossteil der Kindererziehung und das Managen des Alltags übernahm Oona. Keine leichte Aufgabe bei acht Kindern. Bei jeder Schwangerschaft erklärten die Eltern es den Kindern, die sich in «Pro-Schwester» und «Pro-Bruder»-Clans verteilten – doch freuten sich immer alle. Die Chaplins bezogen die Kinder aktiv in den Alltag mit dem Neuankömmling ein, um Eifersucht zu vermeiden.
Als weltberühmter Künstler und gleichzeitig Familienvater von acht Kindern – wie hat Chaplin diese beiden Welten unter einen Hut gebracht?
In den ersten zwei Jahren in der Schweiz lebte Charlie fast wie ein Rentner. Mit 63 hatte er endlich Zeit für Familie, Spaziergänge und die neue Umgebung – und das tat gut. Doch bald merkte er: Etwas fehlte. Er musste wieder arbeiten. Kaum begann er damit, besserte sich seine Stimmung. Seine Frau kümmerte sich meisterlich um die familiäre Organisation mit den Kindern. Die Ruhe des neuen Zuhauses gab ihm die nötige Distanz, um kreativ zu sein. 1954 schrieb er das Skript zu «Ein König in New York» – ein Neuanfang, den er zwar nicht gesucht, aber gebraucht hatte.
Wie haben die Chaplins die Feiertage mit ihrer Familie verbracht?
Offizielle Feiertage bedeuteten Charlie wenig, doch Oona machte daraus mitunter besondere Momente. Zu Weihnachten filmte sie mit ihrer 16-mm-Kamera – ihre Filme wurden dann im Familienkreis gezeigt. Das Haus war festlich und amerikanisch geschmückt, besonders der grosse Baum am Eingang beeindruckte jedes Jahr. Ein paar Rituale prägten das Jahr der Familie: Skiferien im gemieteten Chalet in Crans (alle fuhren Ski, nur Oona nicht), Ostern in Irland – ihrer Heimat – und im Sommer Ferien am Meer, meist an der Côte d’Azur.
Frühling in der Schweiz – Videomaterial aus dem Chaplin-Archiv © Roy Export S.A.S., CHAPLIN OFFICAL
Als jemand, der aus ärmsten Verhältnissen kam – welche Werte hat Chaplin seinen Kindern vermittelt, während sie in privilegierten Umständen aufwuchsen?
Einer von Chaplins Grundwerten war immer die Loyalität – am Filmset, gegenüber Angestellten, Freunden und vor allem in der Familie. Auch Disziplin und Zuverlässigkeit und bei allem Reichtum die Wahrung einer gewissen Demut und Bescheidenheit, würde ich als zu seinen Grundwerten gehörig bezeichnen.
Was war die wichtigste Lektion, die Chaplin seinen Kindern mitgeben wollte?
Für Charlie war Schulbildung das A und O – sie erfordert Disziplin und das Bewusstsein, dass sie ein Privileg ist. Wichtig war ihm auch der innere Antrieb, sich stets weiterzuentwickeln. Rückschläge gehören dazu, aber man sollte seine Ziele nie aufgeben, besonders wenn man spürt, dass man für etwas berufen ist. Das Lachen und die Menschlichkeit sollten wir nie aus den Augen verlieren.
Charlie Chaplin stammte aus einer Künstlerfamilie – sein Vater, seine Mutter, sein Bruder Sydney. Wie war sein Verhältnis zu seiner Familie?
Die Beziehung zu seinem Vater war nicht innig, und Charlie hatte wenig Erinnerungen daran. Von seiner Mutter, Hannah Hill, hat er alles gelernt, was er konnte. Sie war eine aussergewöhnliche Imitatorin und lehrte ihn, Gesten, Bewegungen und Mimik zu nutzen sowie Menschen genau zu beobachten. Trotz grosser Armut schenkte sie Charlie und seinem Bruder Liebe, Stärke und Werte fürs Leben. Ihr Einfluss hat ihn ein Leben lang begleitet. Sein Bruder Sydney und er waren immer sehr eng. Sydney war ihm Bruder, Freund und Manager. Er legte das finanzielle Fundament von Charlies Karriere. Nach dem Umzug in die Schweiz kam Sydney oft zu Besuch und wohnte teilweise in Montreux.
Chaplin galt als perfektionistischer Workaholic in seiner aktiven Zeit. Wie sah sein Tagesablauf in der Schweiz aus, nachdem er nicht mehr täglich im Studio stand?
Nach seiner unfreiwilligen Pensionierung widmete sich Charlie zunächst den Dingen, für die er zuvor keine Zeit hatte, doch bald merkte er, dass ihn das nicht erfüllte. Er musste wieder arbeiten. Seine Tagesroutine mit Oona war meist wie folgt: Frühstück und Zeitung lesen von 7 bis 10 Uhr, dann Arbeit im Büro. Nach einer halben Stunde Tennis und Schwimmen folgte das Mittagessen mit den Kindern. Der Nachmittag war der Musik gewidmet, abends entspannte er sich manchmal bei einem Gin Tonic vor dem Kamin. Während seiner Zeit in der Schweiz verfasste er 3 Drehbücher, seine Autobiografie und unzählige Musikstücke bzw. Überarbeitungen. Ausserdem pflegte er Korrespondenzen und die Chaplins hatten viele Gäste.
Welche Werte waren für Chaplin am wichtigsten, die er in seinen Filmen zum Ausdruck bringen wollte?
In Chaplins Filmen geht es um Humanismus, um Menschlichkeit, Glück – aber auch um Ungerechtigkeit, Armut und Bescheidenheit. Eine zentrale Botschaft zieht sich durch alle seine Werke: Trotz aller Niederlagen stirbt die Hoffnung auf etwas Besseres nie. Liebe ist das Wichtigste. Deshalb enden seine Filme immer mit einem Hoffnungsschimmer. Es gibt – trotz allem – immer einen Weg nach vorn.
1972 ist Chaplin für eine Oscar-Verleihung in die USA zurückgekehrt und wurde dort triumphal empfangen. Wie hat er diesen emotionalen Moment erlebt, und warum ist er danach wieder in die Schweiz zurückgekehrt?
Das Chaplin’s World in seinem ehemaligen Wohnhaus zieht heute Besucher aus aller Welt an. Was würde Charlie Chaplin den Menschen gerne mitgeben, die heute sein Zuhause besuchen?
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Informationen zur Interview Partnerin: Susanne Sinclair
Susanne Sinclair war von 2002 bis 2008 Direktorin der Wirtschaftsförderung Montreux-Vevey «Promove». Als ihr Yves Durand und Philippe Meylan die Vision von einem Chaplin-Museum im «Manoir de Ban» vorstellten, war sie sofort überzeugt: Dieses Projekt würde die Region bereichern und weit über ihre Grenzen hinausstrahlen. Daraufhin verfasste sie eine Machbarkeitsstudie und wurde in der Folge Mitglied der Stiftung, die das Projekt trug. Sie begleitete die Stiftung von den ersten Anfängen an und war eng mit dem Projekt verbunden, als es noch in den Kinderschuhen steckte.
Als das Museum 2016 feierlich eröffnet wurde, empfand sie es als eine würdige Hommage an den grossen Charlie Chaplin. Von der Vision und der Relevanz des grossen Künstlers überzeugt und dem Projekt tief verbunden, entschloss sie sich, auch nach dessen Realisierung als Tourguide neben ihren beruflichen Haupttätigkeiten aktiv zu bleiben.
















